Vom Betroffenen zum Helfer – und nun zum Bürgerpreisträger der Bürgerstiftung Mühlacker. Rudolf Fegert aus Lomersheim hat gemeinsam mit Ehefrau Susanne die Auszeichnung für einen jahrzehntelangen Einsatz in der Suchtkrankenhilfe entgegengenommen.
Mühlacker. Eigentlich, sagt der selbst ernannte „50-Prozent-Preisträger“ aus Lomersheim, bräuchte es keine Ehrennadel, sei doch die Tatsache, dass er jeden Morgen – früh um 4.30 Uhr – mit klarem Kopf, ohne Zittern und ohne schlechtes Gewissen erwache, im Grunde Lohn genug. Die Arbeit mit und in der Gruppe, erklärt Rudolf Fegert auf gut Schwäbisch und besonders authentisch, motiviere ihn dazu, jene tragfähigen Beziehungen vorzuleben, die er bei den Treffen propagiere. „Deshalb nehme ich selbst am meisten mit heim.“
Oder, wie es Susanne Fegert als die zweite Hälfte des Preisträger-Paares formuliert: „Wer in der Suchtkrankenhilfe arbeitet, der muss sich selbst kennenlernen, und das ist ein großer Gewinn.“
Die Fegerts haben sich selbst kennengelernt, damals, vor rund 40 Jahren, als der vermeintliche Alkohol-„Genuss“, der in Rudolf Fegerts Jugendzeit mit regelmäßigen Trinkgelagen am Wochenende begonnen hatte, endgültig seine Schattenseiten zeigte und drohte, die Familie zu zerstören. Doch die Fegerts waren stärker als die Sucht, die Angst und die Krise. „Sie haben sich dagegengestemmt und hart an deren Bewältigung gearbeitet“, sagte in seiner Laudatio Wolf-Dieter Fuchslocher vom Vorstand der Bürgerstiftung. „Sie sind zueinandergestanden, wie sie auch jetzt gemeinsam an einem Projekt arbeiten, das zu einer Herzensangelegenheit wurde.“
Als starkes Team die Krise gemeistert
Als Betroffener hatte Rudolf Fegert im Alter von 37 Jahren gemeinsam mit seiner Frau erstmals ein Treffen des Freundeskreises der Suchtkrankenhilfe, der sich vor 15 Jahren dem bundesweit aktiven Blauen Kreuz anschloss, besucht. „Es hat mein Leben verändert“, sagt er heute, mit 77 Jahren – auch deshalb, weil er die eigenen guten Erfahrungen an andere weitergeben und ihnen Auswege aus der Sucht aufzeigen wollte. In kürzester Zeit absolvierte er Aus- und Weiterbildungen, um – unterstützt von Ehefrau Susanne – selbst eine Gruppe zu leiten, die sich aktuell immer donnerstagabends im evangelischen Gemeindehaus in Lomersheim trifft. „Sie verstehen sich als eine Familie, die Suchtkranken Heimat und Hilfe vermitteln möchte und einen Ort schaffen will, wo Angenommen-Sein und Verständnis erfahren werden sollen“, beschrieb es Wolf-Dieter Fuchslocher, der den Mut des Ehepaares hervorhob, seine Probleme öffentlich zu machen und offensiv anzugehen. „Dieses öffentliche Bekenntnis haben Sie bereits 1984 abgegeben, zu einer Zeit, in der man sich gewiss nicht jedermanns Beifall sicher sein konnte – im Gegenteil.“
Seit Mitte der 1980er Jahre geben Rudolf und Susanne Fegert ihr Wissen an Menschen weiter, die alkoholkrank oder gefährdet sind. Fuchslocher: „Sie besuchen stetig Fortbildungen, leiten Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr Zusammenkünfte und Freizeiten mit bis zu 18 Suchtkranken, vorwiegend mit Alkoholproblemen, sowie mit deren Familienangehörigen, die, so sagen sie, genauso leiden wie die Kranken selbst.“ Auch die Gründe für eine Alkoholsucht, sagt Rudolf Fegert, lägen häufig in der Familie, in ungeklärten Beziehungsfragen.
Beim Empfang in der Kelter, der von der Musikschule Gutmann umrahmt wurde, hatten in ihrer Begrüßung der Gäste Dekan Ulf van Luijk und Oberbürgermeister Frank Schneider die Bedeutung eines bürgerschaftlichen Engagements betont. Dabei wandte sich van Luijk, auch Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung, mit Blick auf die aktuellen Vorbehalte und Attacken gegen Flüchtlinge in deutlichen Worten gegen jede Art der Ausgrenzung von Fremden und Schwachen.
Sie leisteten eine Arbeit, die streng vertraulich und im Stillen ablaufe, stellte OB Frank Schneider an die Adresse der beiden Preisträger fest, deshalb sei die Ehrung ein hervorragendes Signal, um das selbstlose Wirken zu würdigen.
Genau das, die Werbung für die gute Sache, hatte letztlich die Fegerts, wie sie glaubhaft versicherten, endgültig überzeugt, die Auszeichnung anzunehmen. „Die Arbeit ist nicht spektakulär, kann auch traurig machen“, fasste in ihren Dankesworten Susanne Fegert zusammen. „Deshalb ist es schön, respektiert, ernst genommen und gesehen zu werden.“ Das Preisgeld von 500 Euro will das Ehepaar, das sich als starkes Team versteht, für die Kinder von suchtkranken Eltern spenden.
Wer Hilfe sucht, Rat braucht oder sich für die Arbeit des Ortsvereins Mühlacker im Blauen Kreuz interessiert, kann sich direkt an Rudolf Fegert in Lomersheim, Telefon 07041/7888, wenden.
(Mühlacker Tagblatt vom 17.04.2015, Thomas Eier)